In Zeiten sinkender Nachfrage und massiver Dumpingkonkurrenz durch Mietwagen nutzen Taxiunternehmen alle Möglichkeiten, an Aufträge zu kommen, auch app-basierte. Der Anbieter "free now" vermittelt Taxifahrten, die er in Konkurrenz zu ebenfalls angeschlossenen Mietwagen setzt. Diese sind für die KundInnen meistens etwas billiger, unterliegen aber auch größeren Preisschwankungen als es beim Taxi möglich ist.
Auch ich habe die zweischneidige Freude, auf dieses Vermittlungssystem zurückzugreifen. Es duzt seine angeschlossenen FahrerInnen und tut so, als ob das alles UnternehmerInnen wären, auf deren Konten die Einnahmen -abzüglich der Provision- gehen. Tja, das ist halt derselbe Algoritmus bei Taxen wie bei Mietwagen, wo Scheinselbständigkeit zur Geschäftsidee gehört.
Aber werden die Fahrerinnen und Fahrer wirklich als gleichwertige Partner behandelt ? Ich habe da meine Zweifel. Free Now hat ein Bewertungssystem, dessen Kriterien intransparent sind. Nach der Zahl der ausgeführten Aufträge pro Monat die FahrerInnen in Gold, Silber, Bronze und sonstige einzuteilen, mag noch nachvollziehbar sein- obwohl ich als Teilzeitbeschäftigter da Mühe habe, wenigstens den Bronze-Status zu erreichen .
Jedoch hängt die Priorität (Bevorteilung) bei der Auftragsvergabe auch von der Bewertung durch Fahrgäste ab. Diese können fünf Sterne vergeben, oder auch einen mit nur einem einen herunter voten, oder auch gar nichts tun.
Wieviel Sterne man hat, kann man beim herunterscrollen irgendwo sehen... aber nicht, wer wann wie gevotet hat und warum !
Im November und Dezember hatte ich viele Aufträge, auch wenn die meisten kurz waren. Im Januar reduzierten sich diese um mehr als die Hälfte. Jahreszeitlich bedingter Zufall ? Dachte ich, bis ich mitgeteilt bekam, dass ich nur noch 3 Sterne von fünf habe. Da wird sich doch nicht jemand über mich beschwert haben ?
Die einzige Konfliktsituation- die komplett im digitalen Bereich bleib, da der Besteller nicht mit mir sprach- fand am Neujahrstag statt. Ich fand das Geschehen so merkwürdig, dass ich einem Gewerkschaftskollegen, am selben Abend ein Gedächtnisprotokoll schrieb, aus dem ich unten zitiere.
Leider kann ich es nur mutmaßen, dass dieser Besteller mich abgewertet hat. Auch bei der Taxizentrale gingen früher Beschwerden ein. Man bekam eine "Meldung", musste persönlich erscheinen und zum Vorwurf Stellung beziehen. Hier war klar, wer sich wann warum über einen beschwert hat. Manches ließ sich ausräumen, da es auf Missverständnissen beruhte oder die FahrerInnen offensichtlich im Recht waren.
Im digitalen Zeitalter übernimmt der Algorithmus die Sanktion. Man bekommt die negative Bewertung auch nicht zeitnah gemeldet, kann nur raten , woran das liegt. Kein Wunder, dass nicht wenige , in deren Arbeitsalltag Computer die Vorgesetzten ersetzten, zu Verschwörungstheorien neigen !
Auch Essens-KurierfahrerInnen von lieferando und anderen Unternehmen berichten von anonymen Herunterstufungen, die dazu führen, dass sie weniger Aufträge bekommen. Kein Wunder- die Computerprogramme funktionieren ähnlich wie bei Taxis und Mietwagen und erreichbare, verantwortliche und im besten Fall verantwortungsbewusst handelnde Vorgesetzte aus Fleisch und Blut gibt es nicht mehr.
Als aktiver Gewerkschafter fordere ich von free now Transparenz bei Negativ -Bewertungen (ähnlich wie bei Hotel-Bewertungen) und die Möglichkeit, dazu Stellung zu beziehen, bevor eine Sanktion einsetzt. Die ist auch bei Wahrung der Anonymität der Anzeigenden möglich. Dass man eine Materialfahrt ablehnt, bei der einem von in dunkler Ecke wartenden Personen 250 Euro in bar angeboten werden, sollte legitim und ohne Herunterwertung im Algoritmus möglich sein. Es liegt auf der Hand, dass da etwas nicht stimmt. Genau das ist mir am Neujahrstag passiert... aber lest selbst !
So kann ich nur im Büro von free now versuchen herauszubekommen, ob meine Vermutung stimmt.. falls die Beschäftigten dort in das Programm hinein kommen. Oder ich bitte meine Chefin darum, die ja eigentlich für meine Arbeitsbedingungen verantwortlich ist- und nicht der Algoritmus des Vermittlungssystems.
Andreas Komrowski
hier der Ausschnitt aus dem Gedächtnisprotokoll:
"Free NOW schickte mich am Neujahrstag von Alt-Mariendorf in die Arnulfstr. 98-99 für eine Festpreisfahrt zum Lützowplatz 11. Der Fahrgast steht lt. Google-GPS in der Seitenstraße kurz hinter der Tanke. Da war keiner, aber es kam eine Sprachnachricht "ich komme gleich" ; eine Minute später "ich seh Dich nicht", was ich mit "ich suche Dich" -Button bestätigte. Ich stieg aber nicht aus, sondern wartete. Ich sah darauf einen jungen Mann an einem dunklen Fußweg stehen, eine Bierflasche er in der Hand. Er machte keine Anstalten, auf mein Taxi zuzugehen, das vielleicht 10 m entfernt war. Ob er mit einem smartphone hantierte, konnte ich nicht sehen. Ich hielt ihn eher nicht für den Fahrgast, ging weiter von einer normalen Personenfahrt aus.
Plötzlich kam eine Textnachricht "Ich zahle Dir 250 Euro für die Besorgung". Mich machte das stutzig. Ich fuhr langsam weg und kurz auf das Gelände der Tanke, zu der die Hausnummer gehört, ob dort der Fahrgast wartet. Nichts dergleichen, auch auf der anderen Straßenseite nichts (google- GPS kann bis zu 30 m danebenliegen). Ich stornierte den Auftrag in Free Now-System, was mir im Algoritmus ggf. Nachteile bei der Auftragsvergabe einbringt- das ist ja völlig intransparent.
Im Nachhinein erkenne ich mehrere Möglichkeiten, was sich zugetragen haben könnte . Ich habe mich nach Variante 1 verhalten- halte inzwischen aber Variante 2 für wahrscheinlicher.
1. Mich wollte jemand verarschen. An eine Personen- oder Besorgungsfahrt war gar nicht gedacht. Ggf. wurde ich beobachtet. Wer auch immer wollte meine Reaktionen auschecken, um sich zu belustigen. Ggf der junge Mann mit der Bierflasche zusammen mit anderen Leuten. Warum ging er denn nicht zum Taxi, das er definitiv sah ? Bei Free Now hat er das KFZ-Kennzeichen. Seit wann muss ich austeigen und alle Umstehenden ansprechen ?
2. Da hat jemand zu viele Boulevardzeitungen gelesen. Es sollte tatsächlich eine Besorgungsfahrt stattfinden, mutmaßlich von Drogen. Der Typ in der Ecke hatte vermutlich damit zu tun. Er wollte nicht von Dritten gesehen werden. Er erwartete, dass ich beim Erhalt der Textnachricht aussteige und zu ihm hingehe, um den "deal" zu besprechen.
Gibt es Leute, die wirklich denken, dass ein zufällig gerufenes Free Now-Taxi zu einem gewissen Preis Drogen abholt oder verteilt ? Und die dann auch noch eine nicht völlig unverdächtige Zieladresse bei Free Now eingeben ? "Kokstaxi" hielt ich bislang für eine Metapher. Einige Leute nehmen das vielleicht wörtlich und probieren es aus ."
Ein Gewerkschaftskollege, der selber viele Jahre lang Taxi gefahren ist, hat zu mir gemeint, dass Variante zwei wahrscheinlicher ist.